"Wir glauben nicht an Osterhasen"

Paul Geisert und Mynga Futrell gründeten die Rationalistenbewegung „The Brights“

„Die Zeit ist reif für uns Brights, uns zu bekennen. Was ist ein Bright? Ein Bright ist eine Person mit einem naturalistischen Weltbild, frei von Übernatürlichem. Wir Brights glauben nicht an Geister, Elfen oder den Osterhasen – oder an Gott.“ So definierte der Philosoph Daniel Dennett die neue Freidenkerbewegung „The Brights“. Gegründet wurde sie von Paul Geisert und Mynga Futrell, die dem zunehmenden religiösen Fanatismus in den USA eine rationalistische, nicht-religiöse Bewegung entgegensetzen wollen. Dass sich diese Organisation in kurzer Zeit auch auf andere Länder ausbreiten würde, hatten sie anfangs gar nicht erwartet, doch mittlerweile haben sich Rationalisten aus 148 Nationen online als „Brights“ registriert.

naklar.at: Viele Menschen sehen Religion als Quelle von Trost und Wärme in ihrem Leben. Was ist daran schädlich? Muss ein Rationalist nicht anerkennen, dass Religion nützlich sein kann?
Mynga Futrell
Mynga Futrell
Quelle: [1]
Mynga Futrell: So betrachtet wohl schon. Religion ist tatsächlich eine Quelle emotionaler Wärme. Allerdings: Den Brights geht es darum, gleiche Voraussetzungen für alle Weltanschauungen zu schaffen. Wir haben einen „Nichtangriffspakt“ mit Religionen, das bedeutet auch Zusammenarbeit mit religiösen Organisationen, wenn wir gemeinsame Ziele verfolgen. Zu diesen Zielen gehören die Trennung von Religion und Staat und der Unterricht der Evolutionstheorie an öffentlichen Schulen. Es gibt einige Religionsgemeinschaften, die das unterstützen.
naklar.at: Barack Obama und Hillary Clinton zeigen uns, dass Frauen und dunkelhäutige Amerikaner heute wichtige politische Rollen spielen können. Hätte auch ein agnostischer oder atheistischer Kandidat in den USA eine Chance?
Paul Geisert
Paul Geisert
Quelle: [2]
Paul Geisert: Es besteht in den USA praktisch keine Chance, dass ein offen atheistischer Politiker in irgendein wichtiges Amt gewählt werden könnte. Vermutlich gibt es im Stillen einige Agnostiker, die politische Ämter innehaben.
naklar.at: Kennen Sie agnostische Politiker in den USA?
Paul Geisert: Eine ausführliche Suche der „Secular Coalition for America“ nach nicht-gottesgläubigen Politikern brachte genau einen Agnostiker im ganzen Land zu Tage, der ein höheres Amt als Gemeinderat innehatte. Dieser Politiker war Pete Stark, ein Humanist, der sich im Jahr 2007 als nichtreligiös outete. Weil er schon seit dreißig Jahren im Kongress sitzt, sind die Chancen groß, dass er trotzdem wiedergewählt wird – in einem Wahlkreis in der Region um San Francisco, mit einer sehr liberalen Wählerschaft. Wir werden sehen.
naklar.at: Wird sich das ändern? Werden Agnostiker in Zukunft eine größere politische Rolle spielen?
Paul Geisert: Ich sehe keinen Grund, warum sich das in nächster Zeit ändern sollte.
naklar.at: Hätte ein Muslim oder ein Jude eine größere Chance gewählt zu werden als ein Agnostiker?
Mynga Futrell: Früher hatten Juden tatsächlich schlechte Chancen, abgesehen von städtischen Regionen, mit einer hohen Konzentration jüdischer Bürger, wie etwa New York. In manchen Gegenden haben Juden heute noch immer schlechtere Chancen, aber es wurden schon sehr viele Juden in verschiedene Ämter gewählt, sowohl auf Regional- als auch auf Bundesebene. Erst kürzlich, im Jahr 2004, kandidierte Joseph Lieberman, ein orthodoxer Jude, als Vizepräsidentschaftskandidat mit Al Gore. Er war schon lange Senator und seine religiöse Einstellung erweckte damals gar kein besonderes Interesse.
naklar.at: Gilt das auch für Muslime?
Mynga Futrell: Vor kurzem wurde Keith Ellison, der katholisch erzogen worden war und später zum Islam konvertierte, als erster und einziger Muslim in den Kongress gewählt. Es gab darüber einige Aufregung, vor allem weil er sich entschied, seinen Amtseid mit einer Hand auf dem Koran statt der Bibel zu leisten. Seit 9/11 muss ein muslimischer Kandidat für ein öffentliches Amt mit sehr schwierigen Herausforderungen rechnen, abgesehen von Gegenden mit sehr hohem muslimischen Bevölkerungsanteil wie Dearborn in Michigan.
naklar.at: Hatte die Bush-Regierung großen Einfluss auf die Rolle der Religion im öffentlichen Leben?
Paul Geisert: Die Annäherung der Bush-Regierung an die christliche Rechte – durch offene Zustimmung zu Religion und Finanzierung religiöser Einrichtungen – hatte furchtbare Auswirkungen auf das, was früher neutrale Einrichtungen und eine säkulare Regierung waren. Selbst im Fall, dass durch überwältigende Siege der Demokraten manches wieder rückgängig gemacht wird, bleibt viel Schaden zurück. Religion hat nicht mehr nur eine symbolische Rolle, sie durchdringt viele Institutionen, etwa das Militär. Auch die wissenschaftliche Forschung wurde durch diese Politik beschädigt.
naklar.at: Ist religiöse Indoktrinierung an öffentlichen Schulen eine Gefahr?
Brights-Logo
Das Logo der Brights
Quelle: [4]
Mynga Futrell: Religiöse Indoktrinierung an öffentlichen Schulen ist nirgendwo im Land erlaubt. Nach dem Gesetz müssen öffentliche Schulen säkular sein. Allerdings können Privatschulen machen was immer sie wollen, und die wachsen aus dem Boden wie Tulpen im Frühling. Auch Eltern, die ihre Kinder zu Hause unterrichten, werden mehr. Schulen werden lokal kontrolliert, es gibt keinen landesweiten Lehrplan. In stark christlich dominierten Gemeinden wird oft riesengroßer Druck ausgeübt. Der Unterricht über eine Vielzahl von religiösen und philosophischen Systemen wird behindert – von Anthropologie und anderen Wissenschaften über den Menschen ganz zu schweigen. Wir sind für eine solide wissenschaftliche Ausbildung für alle, und wir sind auch dafür, die Jugend sowohl mit Religion als auch mit Freidenkertum gründlich auseinanderzusetzen.
naklar.at: Was war für Sie der Anlass, die Brights-Bewegung zu gründen?
Paul Geisert: Im Jahr 2002 kündigte die „American Atheists Organisation“ eine Veranstaltung in Washington an, die „The Godless Americans March on Washington“ hieß. ("Der Marsch der gottlosen Amerikaner auf Washington", Anmerkung der Redaktion) Das war eigentlich so ziemlich der selbstgeißelndste Name, den ich mir vorstellen kann. „Godless“ ist ein abwertender Begriff, manche Wörterbücher setzen es mit „böse“ gleich. Ich begann sofort, eine Alternative zu suchen, die ein positiver Dachbegriff für so eine Bürgerbewegung sein könnte.
naklar.at: Sie waren also gegen den Begriff „gottlos“, unterstützten aber die Ziele der Bewegung?
Mynga Futrell: Diese Veranstaltung bezog sich eindeutig darauf, dass die öffentliche Reaktion auf die schrecklichen Anschläge vom 11. September so ausgeprägt religiösen Charakter hatte. Gebete und religiöse Slogans konnte man plötzlich im ganzen Land auf Anschlagtafeln sehen, Schulen stellten Schilder auf, auf denen „God Bless America“ stand und vieles mehr. Die politische Stimmung in der ganzen Nation schien sich dahingehend zu ändern, dass man nun religiöse Äußerungen mit Patriotismus gleichsetzte. Das erzeugte unter Säkularisten das Gefühl, im eigenen Land zu Bürgern zweiter Klasse geworden zu sein, oder sogar zu Ausgestoßenen. Indem wir diese Leute – und noch viele andere mehr – als „Brights“ statt als „Gottlose“ neu definierten, wollten wir ganz entschieden darauf hinweisen, dass Säkularisten für die Gesellschaft wichtig sind und nicht mit Verachtung betrachtet werden sollten.
naklar.at: Wie haben Sie Ihre Idee erstmals präsentiert?
Paul Geisert: Das Konzept der „Brights“ präsentierten wir erstmals im April 2003 bei der jährlichen Versammlung der „Atheist Alliance“ in Tampa, Florida. Wir waren am Nachmittag die letzten Redner und hatten nur zwölf Minuten, um unser Konzept zu präsentieren. Unter den Zuhörern waren Richard Dawkins, James Randi und Michael Shermer. Sie alle ließen sich sofort als Brights registrieren.
naklar.at: War die Unterstützung so berühmter Leute gleich zu Beginn des Projekts entscheidend?
Paul Geisert: Ja. Aufgrund der vielen Konferenz-Teilnehmer, die sich sofort als Brights registrierten, starteten wir eine Webseite. Gleich nachdem diese Seite online ging, bekamen wir hunderte weitere Anmeldungen. Richard Dawkins hatte im „Guardian“ einen Gastkommentar über den Begriff „Brights“ geschrieben. Offenbar hatte Richard Dawkins auch Daniel Dennett über die Brights erzählt, denn einige Wochen später erschien Dennetts Gastkommentar „The Bright Stuff“ in der New York Times. An einem einzigen Tag bekamen wir über tausend Registrierungen. Weitere Diskussionen und Kontroversen über den Identitäts-Begriff „Brights“ heizten unsere Bekanntheit noch mehr an und unsere Mitgliederzahlen stiegen kontinuierlich weiter.
naklar.at: Waren Sie von diesem Erfolg überrascht oder hatten Sie das erwartet?
Mynga Futrell: Von Anfang an dachten wir, dass es eine gute Idee ist, einen nicht auf Religion bezogenen Begriff zu formen, mit dem sich viele Leute identifizieren können, sonst hätten wir das gar nicht vorgeschlagen. Wir hatten aber nicht die sofortige Unterstützung durch international berühmte Persönlichkeiten erwartet. Unsere ursprüngliche Idee ergab sich aus der politischen Situation in den USA, und so überraschte es uns, dass plötzlich Beitrittserklärungen aus der ganzen Welt kamen. Wir mussten unsere Pläne an das internationale Interesse anpassen.
naklar.at: Gibt es ein klar definiertes Ziel der Brights? Was muss geschehen, damit Sie sich zurücklehnen und denken: „Hurra, wir haben es geschafft“?
Paul Geisert: Wir wollen das naturalistische Weltbild fördern. Wir haben einen Begriff eingeführt und ihn eindeutig definiert: „Bright“ – eine Person mit einem naturalistischen Weltbild. Wir würden uns freuen, wenn mehr Leute sich selbst in diesem Sinn als „Brights“ bezeichnen würden, als frei von supernatürlichen und mystischen Glaubenselementen. Das bedeutet nicht, dass Brights damit in einer Gegnerschaft zu religiösen Menschen gedrängt werden. „Wir haben es geschafft“ können wir insofern sagen, als dass wir in den Medien immer wieder das Wort „Brights“ finden, ohne dass dabei noch erklärt werden muss, was das ist. Genauso erklärt heute niemand mehr das Wort „gay“ (im Sinn von „schwul“), die Bedeutung ist allgemein bekannt, eine Erklärung ist nicht mehr nötig.
naklar.at: Lässt sich der Kampf von nicht-religiösen Menschen um öffentliche Anerkennung mit den Anfängen der Schwulenbewegung vergleichen?
Mynga Futrell: Bei den Homosexuellen war „gay pride“ notwendig, um sich nicht nur auf einen Aspekt der eigenen Identität zu konzentrieren, sondern aktiv ein einflussreicher Teil der Gesellschaft zu werden. Das war nicht einfach, aber schwule Identität und „gay pride“ haben Wunder gewirkt. „Bright“ als Identität, als Stolz – warum besinnen wir uns nicht gemeinsam auf das, was wir zu bieten haben? Sehen wir denn nicht, dass die Welt dringend einflussreiche Brights braucht?
naklar.at: Agnostiker und Atheisten brauchen also mehr Selbstbewusstsein?
Paul Geisert: Weil sie als „Ungläubige“ herabgewürdigt werden, übersehen viele Menschen, die nicht an Übernatürliches glauben, dass ihre Möglichkeiten, öffentlich aktiv und einflussreich zu sein, in vielen Bereichen untergraben werden. Ein Begriff wie „Ungläubiger“ stempelt Menschen als moralisch minderwertig ab. Nur in Bezug auf einen fehlenden Glauben definiert zu werden, bedeutet einen Nachteil, was Einfluss und Entscheidungsmöglichkeiten betrifft.
naklar.at: Der Begriff „Brights“ wurde manchmal als arrogant kritisiert. Er deutet an, dass alle anderen nicht „bright“, nicht besonders hell im Kopf seien. Glauben Sie noch immer, dass diese Bezeichnung die beste Wahl war?
Paul Geisert: „The Brights“ bezieht sich natürlich auf das Zeitalter der Aufklärung, in dem Wissenschaft und Vernunft regierten. Diese Bezeichnung stieß tatsächlich auf viel Kritik, aber wir glauben noch immer, dass das der beste Begriff von allen war, die bisher vorgeschlagen wurden. Ich bezweifle stark, dass ein Jugendmagazin uns heute Fragen von der anderen Seite des Ozeans stellen würde, wenn wir einen anderen gewählt hätten. Wir kennen keine andere Möglichkeit als einen kontroversiellen Begriff zu verwenden, um so viel Interesse bei der Presse und im Internet hervorzurufen. Wir sind nach wie vor optimistisch, dass sich die neue Bedeutung des Wortes „Bright“ durchsetzt, und dass es letztendlich dieselbe soziale Bedeutung bekommt wie das Wort „gay“ für Homosexuelle.
Dieses Interview erschien erstmals am 18. 3. 2008 auf www.CHiLLi.cc. Eine englische Version davon erschien auf the-brights.net.

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Quellen- und Lizenzangaben

[1], The Brights, the-brights.net press kit
[2], The Brights, the-brights.net press kit
[3], LordHarris, auf wikipedia.org, CC
[4], The Brights, the-brights.net
[5], naklar.at, GNU 1.2 Lizenz, überarbeitete Version von Wikimedia Commons
[1], naklar.at, Collage