Ein Atom ist kein Tennisball

Winzigkleines verhält sich ungewohnt:
Für Quantenobjekte fehlt uns die Alltagserfahrung

Mechanik
Die klassische Mechanik beschreibt viele alltägliche Phänomene

Viele Naturgesetze sind für uns etwas völlig Alltägliches: Wenn ich eine Billardkugel auf eine andere stoße, werden beide abgelenkt. Wenn ich auf ein Windrad puste, dreht es sich. Wenn ich der Tür einen Schubs gebe, geht sie zu. In den physikalischen Gesetzen, die wir ganz selbstverständlich anwenden, geht es um um mechanische Kräfte, um Impuls und Drehimpuls. Man nennt dieses Gebiet die „klassische Physik“. Jemand, der wenig über Physik weiß kann diese Effekte vielleicht nicht berechnen, wird sie aber trotzdem verstehen und nicht besonders überraschend finden. An die Regeln der klassischen Physik haben wir uns seit unserer Kindheit gewöhnt.

Kleine und große Dinge: Skaleninvarianz

Wir haben uns auch daran gewöhnt, dass sich manchmal verschiedene Gegenstände unabhängig von ihrer Größe ähnlich verhalten: Ein kleiner Gummiball springt genauso herum wie ein großer Gummiball, die Zahnräder einer Armbanduhr greifen genauso regelmäßig ineinander wie die viel größeren Zahnräder einer Kirchturmuhr. Diese Eigenschaft nennt man Skaleninvarianz. Was geschieht aber, wenn wir immer kleinere Gegenstände untersuchen? Könnte man eine Armbanduhr für Ameisen bauen? Eine Uhr für Bakterien? So einfach ist das nicht. Auf dem Weg zu immer kleineren Dingen gelangt man in Bereiche, in denen unsere intuitive, klassische Vorstellung von Physik ihren Sinn verliert – die Skaleninvarianz wird verletzt. Die Welt der winzigkleinen Dinge kann man nur mit Hilfe der Quantenphysik verstehen.

Größenordnungen
Eine logarithmische Skala: Jeder Schritt entspricht einem Faktor tausend
Quelle: [1]

Größenordnungen in der Natur

Diese Abbildung zeigt ein logarithmisches Lineal: Der Schritt von einer Messlinie zur nächsten entspricht immer einem Faktor tausend. Der Mensch ist ungefähr tausendmal so groß wie eine Ameise, die ist wiederum tausendmal so groß wie ein Bakterium, ein weiterer Schritt um den Faktor tausend bringt uns in den Größenordnungsbereich von Atomen und Molekülen. Das ist der Bereich, in dem unsere klassische Vorstellung von Bewegung nicht mehr ausreicht und Quantenmechanik die entscheidende Rolle spielt. Ein Atom ist eben keine Ansammlung von kleinen Kügelchen, die einander umkreisen, sondern etwas grundsätzlich anderes. Oft stellen wir uns Atome ähnlich vor wie unser Sonnensystem: So wie die Planeten die Sonne umkreisen, kreisen die Elektronen um einen Atomkern – aber diese simple Hilfsvorstellung trifft die Wirklichkeit nicht besonders gut. Die Elektronen beschreiben keine „Bahn“, wie das Planeten tun, sie haben keine feste Position, sie befinden sich eigentlich immer an allen Punkten rund um den Atomkern gleichzeitig. Man könnte vielleicht sagen, sie umhüllen den Atomkern wie eine Wolke – aber auch dieses Bild ist keine ganz treffende Beschreibung. Mit Begriffen aus unserer makroskopischen Welt (wie „Bahn“ oder „Wolke“) kann man Quantenphysik nicht wirklich erklären. Man trifft in der Quantenphysik auf Objekte, die in unserer alltäglichen Erfahrung eben keine Entsprechung haben.

Es fällt vielleicht zunächst nicht leicht, das zu verstehen, aber darüber müssen wir uns nicht wundern - im Gegenteil: Bei diesem gewaltigen Unterschied in der Dimension zwischen uns und einem Atom wäre es eigentlich sehr seltsam, wenn die genau dieselben physikalischen Vorstellungen, die uns im Alltag begleiten, auch das Verhalten eines Atomes erklären könnten. Schließlich sind Atome auf unserer logarithmischen Längenskala weiter von uns entfernt als wir von unserem Planeten.

Doch auch, wenn sich Atome ganz anders verhalten als unsere Alltagsgegenstände, gibt es natürlich keinen Widerspruch zwischen den Gesetzen der Quantenphysik und denen der makroskopischen Physik. Es gibt auch keine scharfe Grenze, die kleine Quantengegenstände von großen klassischen Gegenständen trennt. Die Gesetze der makroskopischen Physik gehen aus der Quantenphysik hervor, sie lassen sich aus der Quantenphysik ableiten. Die klassische Physik ist gewissermaßen ein Spezialfall der Quantenphysik, der Grenzfall der großer Dinge.

Quanten: Mögliche Energieportionen

Ein klassisches Pendel, wie man es aus einer Pendeluhr kennt, kann unterschiedlich stark in Schwingung versetzt werden. Je nach dem, wie fest man es anstößt, hat seine Schwingung eine bestimmte Energie. Es scheint, als könnte man ganz beliebige Energien auswählen, schließlich kann ich das Pendel beliebig fest anstoßen – aber quantenphysikalisch betrachtet ist das nicht so. Die Energie eines Pendels kann nur bestimmte quantisierte Werte annehmen, es kann die Energie nur in bestimmten Portionen („Quanten“) aufnehmen. Diese quantenphysikalische Erkenntnis trifft auf das Pendel einer großen Pendeluhr ebenso zu – nur spielt sie dort keine Rolle: Die Energiequanten sind so klein, die „erlaubten“ Energiewerte liegen so knapp beieinander, dass man sie nicht unterscheiden kann. Für uns sieht es daher aus, als wäre kontinierlich jeder Energiewert möglich, von ganz kleinen Schwingungen bis zu mächtig großen. Ähnlich wie die Energie von Pendelschwingungen können auch andere physikalische Größen quantisiert sein.

gepixelte Welt
Was von der Ferne betrachtet kontinuierlich wirkt, ist bei näherem Hinsehen aus einzelnen diskreten "Portionen" aufgebaut - so ähnlich wie bei einem Digitalfoto ist das auch bei den Quanten.

Quantisierung spielt also bei makroskopischen Objekten wie Pendeluhren eine viel kleinere Rolle als bei Quantenobjekten wie einzelnen Atomen. Man kann das mit einem Computerbildschirm oder einem Digitalfoto vergleichen: Wenn man sehr nahe an das Bild herangeht und kleine Details betrachtet, erkennt man, dass das Bild aus einzelnen Bildpunkten zusammengesetzt (also „quantisiert“) ist. Wenn man allerdings einen Schritt zurückgeht und das Bild aus der Entfernung betrachtet, dann erscheint es nahtlos kontinuierlich, so wie wir das aus unser großen Welt gewohnt sind.

Die Physik der mittelgroßen Dinge

Auch wenn man schon viel über den Zusammenhang zwischen Quantenphysik und klassischer Physik verstanden hat, gibt es auf diesem Gebiet noch viel zu forschen. Gerade dieser Grenzbereich, in dem oft nicht ganz klar ist, ob sich ein System noch klassisch beschreiben lässt, oder bereits die kompliziertere Quantenphysik verwendet werden muss, ist für technologische Anwendungen wichtig.
Wenn elektronische Bauteile immer kleiner gebaut werden, erreicht man dabei zwangsläufig irgendwann den Bereich, in dem die Quantenphysik eine Rolle spielt. Es gibt daher viele Forscher, die sich mit dem Übergang zwischen makroskopischer und mikroskopischer Welt beschäftigen. Man nennt das mesoskopische Physik – die Physik der mittelgroßen Dinge. Mesoskopische Physik oder auch „Nanotechnologie“ ist mittlerweile zu einem riesengroßen Gebiet geworden, das vom Verhalten einzelner Elektronen in Halbleitern bis zum Design von ganz neuen Objekten und Werkstoffen führt. Zu welchen Anwendungen und Erfindungen solche Forschungen führen können, lässt sich (wie immer in der Physik) kaum vorhersagen, aber mit Sicherheit wird die Forschung über den Zusammenhang der großen, klassischen Welt mit der Quantenphysik noch viele spannende Erkenntnisse liefern. Wir dürfen gespannt sein.



Quellen- und Lizenzangaben

[text], naklar/flai
[teaser-bild], www.naklar.at, Collage aus [2], GNU licence 1.2
[1], www.naklar.at, Collage aus [3] und [4], GNU licence 1.2
[2], Wikipedia.org, GNU licence 1.2
[3], Wikipedia.org, Ameise, GNU licence 1.2
[4], Wikipedia.org, Matterhorn (Habu69), GNU licence 1.2