Wie wählen wir ein Wahlsystem?

Gruppe
Entscheidungen in Gruppen sind manchmal schwierig zu treffen
Quelle: [1]

Nicht nur rund um Wahlen stellt man sich die Frage nach dem optimalen Wahl- und Regierungssystem: Demokratie, Oligarchie, Diktatur etc. In weiten Teilen der Welt hat sich die Meinung durchgesetzt, dass die Demokratie die beste unter den bekannte Regierungsform darstellt. Allerdings lässt sich darüber streiten, welche die optimale Form der Demokratie ist (direkte, repräsentative, etc.). Auch gibt es eine Vielzahl verschiedener Abstimmungssysteme, wie zum Beispiel das Mehrheits- oder Verhältniswahlrecht.

Natürlich ist es schwierig ein System zu finden, das in allen denkbaren Situationen optimal funktioniert. Wie tief die Probleme bei der Suche nach so einem System allerdings wirklich liegen, erkennt man erst bei genauerem Hinsehen. Grundsätzlich gibt es zwei Fragestellungen im Zusammenhang mit Absimmungssystemen:

  1. Wie kommt man von Reihungen von alternativen Projekten von einzelnen Wählern auf eine sinnvolle Gesamtreihung aller Alternativen?
  2. Wie erreicht man, dass Bürger keine falsche Angaben über ihre eigene Reihung machen, um das Abstimmungsergebnis in ihrem eigenen Sinne zu beeinflussen?

Viele einzelne Meinungen, eine Gesamtentscheidung

Wahlurne
Sinnvolle Reihungen dürfen keine Zirkelschlüsse enthalten

Bei der Beantwortung der ersten Frage versucht man unter Kenntnis aller individuellen Reihungen der Wähler (sogenannte Präferenzen) diese auf sinnvolle Weise zu einer einzigen Reihung zusammenzufassen. Doch was ist eine sinnvolle Reihung? Ganz einfach: Reihungen wie die folgende sollen ausgeschlossen sein: A besser als B besser als C besser als A. Bei dieser Reihung könnte man nämlich nicht ermitteln, welche Alternative die beste ist: Alternative A? Nein, da wir wissen, dass C besser als A ist. Alternative C? Auch nicht; B ist ja besser als C. Bleibt B: Auch B ist nicht die beste Wahl, da Alternative A bevorzugt wird. Wir können keine beste Alternative finden. Wir müssen also versuchen, nur sinnvolle Gesamtreihungen zu erstellen, wie zum Beispiel: A > C > B (Das Zeichen ">" bezeichnet "ist besser als"). In diesem Fall lässt sich sich die beste Alternative leicht finden: Alternative A.

Neben einer sinnvollen Reihung von Alternativen sollte das Wahlsystem effizient sein: Es sollte nicht eine Alternative an der Spitze der Gesamtreihung stehen, obwohl eine andere Alternative von allen Wählern bevorzugt wird. Mit anderen Worten wenn alle Bürger eine Wahlmöglichkeit A über die Wahlmöglichkeit B bevorzugen, dann darf das Wahlsystem nicht zum Sieg von Möglichkeit B führen.

Die letzte Bedingung an das Wahlsystem ist die sogenannte Unabhängigkeit von irrelevanten Alternativen: Einfach gesprochen, soll die Gesamtreihung von zwei Alternativen nicht vom Vorhandensein bzw. der Reihung anderer Alternativen abhängig sein. Also soll zum Beispiel die Entscheidung, ob eine Schulklasse als Klassensprecherin Anna oder Britta bevorzugt, nur von individuellen Reihungen über Anna und Britta abhängen, nicht aber davon wie die Schüler andere Kandidaten reihen.

Wenn nur zwei mögliche Alternativen A und B zur Auswahl stehen, ist eine Lösung leicht gefunden: Die Mehrheitswahl. Es wird einfach die Anzahl aller Bürger, die A gegenüber B bevorzugen gezählt. Ergibt sich hierbei ein Stimmenanteil über 50%, wird Alternative A gewählt, ansonsten Alternative B. Man kann leicht nachprüfen, dass diese Methode alle gestellten Anforderungen (sinnvolle Reihung, Effizienz, Unabhängigkeit von irrelevanten Alternativen) erfüllt.

Dieses System funktioniert aber nicht, wenn es mehr als zwei Alternativen gibt. Betrachten wir folgendes Beispiel:

Bürger 1:A > B > C
Bürger 2:C > A > B
Bürger 3:B > C > A

Paarweise Mehrheitsabstimmungen führen zu folgenden Ergebnissen: A > B, B > C und C > A. Man erkennt sofort, dass keine sinnvolle Gesamtreihung der Alternativen entsteht. Dieses Phänomen nennt man Condorcet-Paradoxon. Im ersten Moment würde man vermuten, dass es möglicherweise ein klügeres Wahlsystem bräuchte, um solche Probleme zu verhindern. Leider handelt es sich nicht um eine Ausnahmeerscheinung. Ganz im Gegenteil, es steckt System dahinter, wie wir sofort sehen werden.

Bis jetzt haben wir nur sehr abstrakte Anforderungen an das Wahlsystem gestellt. Ethische Überlegungen, wie Gerechtigkeit in welcher Form auch immer, haben bis jetzt keine Rolle gespielt. Was Gerechtigkeit bedeutet, darüber lässt sich lange diskutieren. Über eines sind sich aber fast alle Menschen einig: Eine Diktatur, das heißt ein System in dem nur ein Individuum Entscheidungen trifft, ist nicht gerecht. Deshalb fügen wir die Forderung der Nicht-Diktatur zu den bereits gestellten hinzu. Doch die Suche nach einem Wahlsystem, das alle gestellten Kriterien erfüllt, ist leider zwecklos. Der spätere Nobelpreisträger für Volkswirtschaft Kenneth Arrow konnte Anfang der 1950er Jahre nämlich zeigen, dass es kein Wahlsystem gibt, das alle geforderten Eigenschaften (sinnvolle Gesamtreihung, Effizienz, Unabhängigkeit von irrelevanten Alternativen, Nicht-Diktatur) erfüllen kann, wenn mindestens drei verschiedene Alternativen zur Wahl stehen und alle sinnvollen individuellen Reihungen von Alternativen zugelassen sind. Dieses Resultat ist unter den Namen Arrow-Paradoxon oder Unmöglichkeitssatz von Arrow bekannt.

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Quellen- und Lizenzangaben

[teaser-bild], Rama (wikipedia.org), Aus: Second round of the French presidential election of 2007, CeCILL
[1], terren in Virginia (flickr), Ausschnitt: Chris Long Ready for D, CC-BY