Wie wählen wir ein Wahlsystem?

Die Wahrheit sagen oder ... schummeln?

Wahlurne
Strategisch gewählt?
Quelle: [1]

Der Unmöglichkeitssatz von Arrow wird oft für seine abstrakten Voraussetzungen kritisiert. Besonders die Forderung der Unabhängigkeit von irrelevanten Alternativen wird als zu einschränkend bemängelt. Allerdings wird dabei oft auf ein viel wichtigeres Problem vergessen: Das strategische Wahlverhalten. Bis jetzt haben wir nur untersucht, wie man aus individuellen Reihungen von Alternativen eine vernünftige Gesamtreihung erstellen könnte. Wir haben dabei vorausgesetzt, dass alle individuellen Reihungen öffentlich bekannt sind. In der Realität sind die Reihungen aber nur den Wählern selbst bekannt. Das erlaubt Wählern den Ausgang einer Wahl zu manipulieren, indem sie ihre Reihungen nicht wahrheitsgemäß bekanntgeben.

Ein geläufiges Beispiel für dieses strategische Wahlverhalten bieten Präsidentschaftswahlen. In vielen Ländern finden zwei Wahlrunden statt. In der Ersten treten viele Kandidaten an, wobei oft keiner die absolute Stimmenmehrheit im ersten Wahlgang erreicht. Deshalb wird der Gewinner in einer Stichwahl der beiden stimmenstärksten Kandidaten aus dem ersten Wahlgang bestimmt. Durch dieses System steigt aber der Anreiz einen Kandidaten zu wählen, der eine gute Chance hat in die Stichwahl zu gelangen, und nicht jenen, den man eigentlich bevorzugt. So kann ein weit verbreiteter, aber falscher Glaube an die Chancenlosigkeit eines Kandidaten, dessen Einzug in die zweite Wahlrunde tatsächlich verhindern.

Die grundsätzliche Fragestellung, ob Wahlsysteme strategiesicher gestaltet werden können, ist Teil der sogenannten Mechanismus-Design-Theorie, an deren wichtige Proponenten im Jahr 2008 der Wirtschaftsnobelpreis vergeben wurde. Auch wenn man die Bedingung der Unabhängigkeit von irrelevanten Alternativen fallen lässt, gibt es noch immer viele Wahlsysteme, die sich nicht strategiesicher implementieren lassen. Auch wenn schon einiges über strategiesichere Wahlsysteme bekannt ist, bleiben noch viele Fragestellungen offen für zukünftige Forschung.

Sind Auswege möglich?

Eine leicht zu übersehende, aber besonders einschränkende Annahme des Unmöglichkeitssatzes von Arrow ist die Forderung, dass das Wahlsystem für alle erdenklichen individuellen Reihungen funktionieren muss. In vielen Fragestellungen kann man aber getrost davon ausgehen, dass es eine gewisse Systematik, oft sogar einen gewissen Zusammenhang zwischen den individuellen Reihung gibt. In solchen Fällen lassen sich manchmal Wahlsysteme konstruieren, die alle oben geforderten Eigenschaften erfüllen, ja sogar oft strategiesicher sind.

Anwohner entlang der Straße: A,B,C,D,E
Anwohner entlang der Straße

Eines dieser Beispiele sind sogenannte eingipfelige Reihungen. Am Einfachsten stellt man sich diese anhand eines Beispiels vor: Entlang einer Straße soll ein Schwimmbad errichtet werden. Wir nehmen an, dass jeder Anwohner der Straße so nah wie möglich am Schwimmbad wohnen möchte (anscheinend sind die Anwohner lärmresistent), das heißt für jeden Anwohner wäre es am Besten direkt beim Schwimmbad zu wohnen; je weiter entfernt, desto schlechter für einen Anwohner.

In der Grafik sehen wir, wo die fünf Anreiner A, B, C, D und E entlang der Straße wohnen. Es ist leicht nachzuprüfen, dass die Alternative das Schwimmbad direkt bei Anwohner C zu platzieren, sich in Mehrheitswahl gegen jegliche andere Alternative durchsetzt (zum Beispiel: Abstimmung Standort B gegen C geht mit 3 zu 2 Stimmen für Standort C aus). Dabei handelt es sich um eine allgemeine Regel: Bei eingipfeligen Reihungen liefert die paarweise Mehrheitswahl eine sinnvolle Gesamtrangliste, nach den oben dargelegten Kriterien. Die Entscheidung hängt übrigens immer vom sogenannten Medianwähler ab, der sich in der Mitte des Wählerspektrums befindet.

Wie nun Demokratie organisieren?

Wählende Frau
Wahl in Bangladesch

Für manche Situationen (z.B. eingipfelige Reihungen) mag man in der Theorie ein optimales Wahlsystem finden, in der Realität sind die meisten Fragestellungen aber zu komplex, um in diese einfachen Muster zu passen. Darüber hinaus wurden andere Probleme noch gar nicht diskutiert: Zur Beurteilung vieler Problemstellungen ist Expertenwissen von Nöten. In diesem Fall macht es keinen Sinn direkt abzustimmen, weil das Aneignen von Spezialwissen oft sehr zeitaufwändig ist (Man denke z.B. an Brandschutzbestimmungen für Krankenhäuser, Lawinenschutzgebiete). Damit stellt sich aber die Frage nach optimaler Vertretung und im zweiten Schritt auch nach der Kontrolle der Vertreter, wobei natürlich auch Eigeninteressen von Repräsentanten zu beachten sind.

Die Quintessenz dieser Diskussion ist, dass es ein perfektes Wahlsystem schon in der Theorie nicht gibt. Wir müssen uns daher in der Praxis mit Lösungen begnügen, die gut aber nicht perfekt sind. Welche Wahl- und Repräsentationssysteme das sind, ist von den konkreten Fragestellungen abhängig. Eine letztgültige Antwort für alle Zeiten und Situationen können wir nicht finden. Deshalb wird es immer notwendig sein, demokratische Systeme an neue Herausforderungen anzupassen.

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Quellen- und Lizenzangaben

[1], Rama (wikipedia.org), Aus: Second round of the French presidential election of 2007, CeCILL