Phlogiston und die Entdeckung des Sauerstoffes

Brennende Stoffe zu untersuchen war schon vor Jahrhunderten ein wichtiges Forschungsgebiet für die ersten Chemiker. Mit manchen Ideen lagen sie aber ziemlich daneben.

Ab und zu bringen auch kluge Leute Theorien hervor, die einfach falsch sind. Ein Beispiel für eine wissenschaftliche Idee, die ursprünglich weit verbreitet war und trotzdem völlig widerlegt wurde, ist die Phlogeston-Theorie. Mit ihr versuchte man vor drei Jahrhunderten, Verbrennungsprozesse zu erklären: Durch Feuer, so dachte man damals, wird „Phlogiston“ freigesetzt, eine mysteriöse Substanz, die sich in der Luft anreichert. Heute mag uns das naiv und seltsam vorkommen – aber aus damaliger Sicht war diese Theorie gar nicht so abwegig.

Chemie und Feuer
Die Chemie der Verbrennung - eine komplizierte Sache

Moderne Zeiten

Wir leben in einer Zeit die von Hochtechnologie und von Wissenschaft bestimmt ist. Wer würde heute noch die Idee vertreten, dass alle Materie aus den vier Elementen: Luft, Feuer, Erde und Wasser besteht? Auch wissen die allermeisten Menschen heute Begriffe wie „Gas“, „Flüssigkeit“, „chemisches Element“ durchaus richtig einzuordnen. Wir wissen auch, dass die Luft die wir atmen, die uns umgibt, aus mehreren Gasen zusammengesetzt ist – aus Sauerstoff, Stickstoff und noch einigen anderen Spurenelementen in sehr geringen Konzentrationen. Wir atmen Sauerstoff ein, nutzen diesen um unsere Nahrung zu Energie umzusetzen und atmen Kohlendioxid als "Abgas" wieder aus. Auch Autos oder Gasheizungen benötigen Sauerstoff um Kohlenwasserstoffe zu Verbrennung und daraus Energie zu gewinnen. Jede Schülerin und jeder Schüler lernt dies heute in Grundzügen in der Volksschule.

So fällt es gar nicht so leicht uns in die Gedankenwelt eines Wissenschafters oder Naturphilosophen des 16. oder 17. Jahrhunderts zu versetzen. Vieles, ja das meiste, was für uns heute selbstverständlich ist, war noch unbekannt. Luft wurde für eine einheitliche, nicht weiter teilbare Substanz, ja sogar für ein fundamentales Element gehalten. Auch war der Zusammenhang zwischen stofflicher Umsetzung – also beispielsweise der Verbrennung von Kohlenstoff mit Sauerstoff zu Kohlendioxid – und der freiwerdenden Energie nicht bekannt.

Das Phlogiston

Verbrennung an sich wurde natürlich beobachtet, aber eine konsistente Theorie dieses Phänomens fehlte weitgehend. Der deutsche Arzt und Chemiker Georg Ernst Stahl (von den Beobachtungen des englischen Wissenschafter Johann Joachim Becher beeinflusst) kam zu der Überzeugung, dass bei einer Verbrennung etwas Stoffliches entweichen müsse. Diese vermutete Substanz nannte er Phlogiston. Im 17. und 18. Jahrhundert galt dies als bestimmende Theorie zur Beschreibung von Verbrennungsvorgängen. Folglich dachte man, brennbare Substanzen seien reich an Phlogiston, das bei der Verbrennung an die Luft abgegeben wird. Stoffe mit höherem „Phlogistongehalt“ brennen besser als solche mit niedrigem, und die Verbrennung läuft heftiger ab, wenn die Luft nicht schon mit Phlogiston gesättigt ist. Schwefel, Kohlenstoff oder Wasserstoff galten daher als „phlogistonreich“.

Betrachtet man den damaligen Stand der Erkenntnis und die verfügbaren empirischen Daten, so war dies keine unvernünftige Annahme. Der Elementbegriff war erst im Entstehen und es war noch keineswegs klar, dass die Verbrennung die Folge einer chemischen Reaktion zweier Substanzen ist bei der Energie frei wird. Aus heutigem Verständnis könnte man das Phlogiston daher am ehesten mit dieser frei werdenden Energie vergleichen.

Robert Boyle
Robert Boyle - irischer Wissenschaftler des 17. Jahrhunderts
Quelle: [2]

Experimentalwissenschaft der Neuzeit: Boyle, Cavendish, Priestley

Das 17. und 18. Jahrhundert aber war auch das Zeitalter herausragender Experimentalwissenschafter wie Robert Boyle, Lord Henry Cavendish oder Joseph Priesley. Der britische Forscher Robert Boyle entdeckte im Jahr 1671, dass Gas entsteht, wenn man bestimmte Metalle in Mineralsäuren auflöst. Entzündet man dieses Gas so brennt heftig oder explodiert gar. Boyle nannte es "brennbare Luft". Heute wissen wir, dass Robert Boyle tatsächlich das Gas „Wasserstoff“ isoliert hatte. Diese Entdeckung und spätere Experimente anderer Forscher machten klar, dass es offenbar andere (von Luft verschiedene) Gase geben muss.

Auch der britische Adelige Henry Cavendish und sein Zeitgenosse Joseph Priestley waren sehr an diesen Experimenten interessiert. Für Cavendish und Priestley, wie für alle modernen Wissenschafter, war Messen und Wägen ein wesentlicher Teil ihrer Untersuchungen. So experimentierten sie vorzugsweise mit Wasser und Luft und konnten feststellen, dass beide Substanzen aus anderen Substanzen zusammengesetzt waren. Joseph Priestley verdanken wir unter anderem die Isolierung des Sauerstoffes.

Allerdings war er sich der Tatsache Sauerstoff entdeckt zu haben nicht bewusst. Bis an sein Lebensende war er nämlich heftiger Vertreter der Phlogiston-Theorie. Nach seiner Überzeugung hatte er nicht ein neues Element entdeckt, sondern die Luft entphlogisiert. Nach der Phlogistontheorie macht dies Sinn: entsteht bei der Verbrennung Phlogiston, so sättigt sich langsam die Luft damit und unterbindet ab einem gewissen Zeitpunkt die Verbrennung. Entfernt man das – nach der damaligen Ansicht – immer vorhandenes Phlogiston aus der Luft, so muss die Verbrennung in dieser Luft besser ablaufen. Das Gas nimmt nun "begierig" neues Phlogiston auf. Auch die Verbrennung von Sauerstoff ("enthphlogisierte Luft") und Wasserstoff ("brennbare Luft") zu Wasser entdeckte Priestley. Er war aber nicht in der Lage die Beobachtungen korrekt zu beschreiben.

Joseph Priestley
Joseph Priestley, 18. Jhdt.
Quelle: [3]

Die Aufklärung des Problemes: Antoine Lavoisier

Erst der Franzose Antoine Lavoisier zieht aus diesen Experimenten die richtigen Schlüsse! Lavoisier war einer der bedeutendsten Wissenschafter des 18. Jahrhunderts und wird häufig gemeinsam mit Robert Boyle als Begründer der "modernen" Chemie bezeichnet. Selbst seine enormen wissenschaftlichen Verdienste konnten ihn allerdings im Jahr 1794 nicht vor Guillotine retten. Lavoisier war im Gegensatz zu Cavendish nicht vermögend und musste seinen Lebensunterhalt als Steuereintreiber verdienen. Nach dem Ausbruch der französischen Revolution wurde er verhaftet und wegen dieser Tätigkeit zum Tode verurteilt. Trotz vieler Fürsprecher wurde er letztlich hingerichtet. Die Aussage des Zeitgenossen und berühmte Mathematikers Joseph-Louis Langrange macht Bedeutung Lavoisiers klar: "Einen einzigen Moment nur braucht man seinen Kopf abzuschlagen; hundert Jahre werden wahrscheinlich nicht reichen, einen gleichen hervorzubringen."

In den meisten Lehrbüchern werden Priestley und Lavoisier als Entdecker des chemischen Elementes Sauerstoff genannt. So wertvoll auch die Beiträge beider waren sind sie doch grundverschieden. Priestley war ein hervorragender Experimentator – durch Neugierde und Intuition getrieben. Er entdeckte nicht nur Sauerstoff, sondern experimentierte auch mit einer Pflanze (Minze) in einem geschlossenen Behältern in dem mit Kerzen der Sauerstoff verbrannt wurde. Die Pflanze erzeugte nach einigen Tagen eine Substanz, nämlich Sauerstoff. Damit kann man Priestley auch die Entdeckung der ersten Prinzipien der Photosynthese zuschreiben. Die Interpretationen einiger Experimente sind aber recht mangelhaft. Beispielsweise sind die Verbrennungsrückstände mancher Metalle nach der Verbrennung schwerer als zuvor. Es bilden sich mit Sauerstoff Metalloxide, die schwerer sind als das Metall in Reinform. Diese Beobachtung war bekannt, aber selbst diese Tatsache löste bei vielen Vertretern der Phlogiston-Theorie keine besonderen Zweifel aus. Wäre die Phlogiston-Theorie richtig, würde man eher das Gegenteil erwarten: eine Substanz (das Phlogiston) sollte ja die brennende Substanz verlassen, folglich sollten die Rückstände leichter nicht schwerer werden. Einige Vertreter der Phlogiston-Theorie schlugen daher eine negative Masse des Phlogistons vor.

Erst Lavoisier zog aus der Vielzahl der Experimenten die richtigen Schlüsse. Er verwarf die Phlogiston-Theorie zugunsten der Entdeckung neuer chemischer Elemente. Damit gilt er zurecht als einer der bedeutendsten Naturwissenschafter der Zeit.

Ironischerweise konnte Priestley sich bis zum Ende seines Lebens nicht von der Phlogiston-Theorie trennen. Dabei war aber er derjenige, der diese mit seinen Experimenten widerlegt hatte. Priestley teilt damit ein Schicksal mit vielen anderen Wissenschaftern: Er zeigt wie schwer es selbst für führende Denker der Zeit sein kann, sich von gewohnten und lieb gewonnenen Theorien zu trennen. Auch dann, wenn alle Anzeichen dafür sprechen, dass es Zeit ist, die Theorie fallenzulassen und die Türen für neue Ideen zu öffnen.

Alexander Schatten / red




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Quellen- und Lizenzangaben

[text], Alexander Schatten
[2], Wikimedia Commons, public domain
[3], Wikimedia Commons, public domain
[Quelle], Encyclopædia Britannica 2009 Ultimate Reference Suite. Chicago (2009)
[Quelle], Norman Greenwood, Alan Earnshaw, Chemie der Elemente, VCH Verlag (1990)
[Quelle], Thomas Kuhn, Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, 13. Auflage (1996)
[Quelle], David C. Lindberg, The Beginning of Western Science, The University of Chicago Press, Second Edition (2007)
[Quelle], Royston Roberts, Serendipity – Accidental Discoveries in Science, John Wiley & Sons (1989)
[Quelle], Hans Joachim Störig, Kleine Weltgeschichte der Wissenschaft, Fischer, 1. Auflage (2007)
[Quelle], Stanford Encyclopedia of Philosophy, http://plato.stanford.edu
[Quelle], Nils Wiberg, Lehrbuch der anorganischen Chemie, DeGruyter, 19-100. Auflage (1985)