Welle oder Teilchen?

Quantenteilchen schwappen wie Wellen durch den Raum - das berühmte Doppelspaltexperiment ermöglicht einen Einblick in die Physik der kleinsten Dinge.

Ein Teilchen, das sich gleichzeitig an verschiedenen Orten aufhält – das klingt seltsam. Der Aufenthaltsort ist schließlich in unserer gewohnten Umwelt etwas sehr Eindeutiges: Wenn ich einen Stein werfe, beschreibt er einen Bogen, zu jedem Zeitpunkt hat er einen eindeutigen Aufenthaltsort und eine eindeutige Geschwindigkeit. Die Quantentheorie sagt uns allerdings, dass sich Objekte wie Wellen benehmen können – und Wellen verhalten sich ganz anders. Wirft man einen Stein ins Wasser, breiten sich kreisförmige Wellen aus. Die Wellen bewegen sich in alle Richtungen gleichzeitig, und sie sind nicht auf einen Ort beschränkt. Sie können große Bereiche der Wasseroberfläche gleichzeitig erfüllen. Genau mit dem Unterschied zwischen dem Stein und den Wasserwellen die er erzeugt, beschäftigt sich das wohl berühmteste Experiment der Quantentheorie: Das Doppelspaltexperiment.

Tomaten im Doppelspaltexperiment
Große, klassische Objekte im Doppelspaltexperiment: Tomaten sind keine guten Wellen

Links oder rechts?

Der Versuchsaufbau des Doppelspaltexperiments ist ganz einfach: Man lässt die Teilchen auf eine Platte auftreffen, in die zwei schlitzförmige Öffnungen geschnitten sind. Schon im 19. Jahrhundert untersuchte der britische Physiker Thomas Young auf diese Weise die Wellennatur des Lichts. Stellen wir uns zunächst eine große Platte mit großen Öffnungen vor, die mit großen, klassischen Objekten beschossen wird – mit Tomaten beispielsweise. Die Tomaten klatschen entweder auf die Platte, oder sie gehen durch eine der beiden Öffnungen hindurch und treffen auf eine Wand hinter der Platte. Wenn man viele Tomaten geworfen hat, erkennt man auf der Wand zwei große Tomatenflecken: Im linken Fleck landen alle Tomaten, die durch die linke Öffnung gekommen sind, der rechte Fleck stammt von den Tomaten, die ihren Weg durch die rechte Öffnung gefunden haben. Deckt man eine der Öffnungen ab, gibt es nur einen möglichen Weg für die Tomaten und somit wird auf der Wand dann auch nur ein Tomatenfleck sichtbar sein. Das klingt alles nicht besonders ungewöhnlich.

Wellen sind überall gleichzeitig

Wellen im Wasserbecken
Oben: Wellen treffen auf einen Doppelspalt und treten durch beide Öffnungen gleichzeitig. Von beiden Öffnungen gehen dann Wellen aus, die sich überlagern und ein komplexes Muster verursachen. In bestimmte Richtungen wird eine Wellenfront nach der anderen gesendet, in anderen Richtungen sind keine Wellen zu sehen.
Unten: Ist nur ein Spalt geöffnet, ist die Situation einfacher: Die stärksten Wellen findet man - quasi als "Schatten" - direkt hinter der Öffnung, in gerader Linie nach vorne. In anderen Richtungen ist der Wellengang geringer - komplizierte Wellenüberlagerungen sieht man nicht.

Stellen wir uns nun aber dasselbe Experiment mit Wellen vor: Wir stellen die Platte in ein Schwimmbecken und erzeugen große Wellen, die auf die Platte zuschwappen. Die Welle dringt durch beide Öffnungen gleichzeitig hindurch, von beiden Öffnungen aus breitet sich die Welle weiter aus und die beiden Teilwellen überlagern sich zu einem komplizierten Wellenmuster. So wie man vorher die Tomaten auf der Wand betrachten konnte, lässt sich nun am Beckenrand hinter der Platte beobachten, an welchen Stellen das Wasser heftig rauf und runter schwappt, und an welchen Punkten es sich kaum bewegt. Das Wellenmuster am Beckenrand sieht deutlich komplizierter aus als das Tomatenmuster an der Wand: Statt bloß zwei deutlich sichtbaren Flecken haben wir nun eine Abfolge von Orten mit hohem und Orten mit niedrigem Wellengang. Dieses Wellenmuster entsteht nur dadurch, dass die Welle durch beide Öffnungen gleichzeitig hindurchgegangen ist: Decken wir eine Öffnung ab, dann ist es auch mit dem komplizierten Wellenmuster vorbei: Dann sind die stärksten Wellenbewegungen direkt hinter der Öffnung zu spüren, an anderen Stellen wird die Wellenbewegung schwächer, die komplexe Abfolge von heftigen Wellen und ruhigen Stellen dazwischen ist nicht mehr zu sehen.

Quantenteilchen benehmen sich wie Wellen

Genau dieses Phänomen kann man benützen, wenn man herausfinden will, ob etwas eine Welle ist oder nicht. Tomaten sind offenbar keine guten Wellen. Sie sind ganz klar ein Beispiel für klassische Objekte, die man auch ohne Quantenphysik gut beschreiben kann. Verwendet man aber statt Tomaten viel kleinere Dinge, dann spielen die Gesetze der Quantenmechanik eine wichtige Rolle. Man kann das Doppelspaltexperiment mit Elektronen durchführen, mit Neutronen oder Atomen – sogar mit großen Molekülen hat man das schon gemacht. Die Quanteneigenschaften dieser Teilchen untersucht man, indem man sie auf eine Platte mit zwei winzigen, eng beeinanderliegenden Schlitzen schießt und dahinter mit einem Teilchendetektor genau misst, wo die Teilchen ankommen.

Quantenteilchen im Doppelspaltexperiment
Teilchen werden auf einen Doppelspalt geschossen - dahinter registriet ein Teilchendetektor, wo viele Teilchen gemessen werden (rot) und wo keine Teilchen hingelangen (weiß).

Erstaunlicherweise sieht man dabei nun nicht einfach zwei Teilchen-Flecken hinter den beiden Schlitzen wie bei den Tomaten – sondern ein kompliziertes Wellenmuster, wie bei der Wasserwelle – Materie hat also Welleneigenschaften. Genau wie das Wellenmuster im Wasserbecken kommt das Quanten-Wellenmuster dadurch zustande, dass die Welle durch beide Öffnungen gleichzeitig dringt. Das Quanten-Teilchen bewegt sich auf zwei verschiedenen Pfaden, die beiden Anteile der Teilchen-Bewegung überlagern sich danach und ergeben das Wellenmuster.

Das kann man nun näher untersuchen, indem man jeweils einen der beiden Schlitze verdeckt und beobachtet, an welchen Stellen die Teilchen dann beim Detektor ankommen. Wenn es nur einen Schlitz gibt, dann kann die Quanten-Welle keine verschiedenen Wege mehr gleichzeitig einschlagen. Der Pfad ist nun eindeutig festgelegt, und damit gibt es auch kein Wellenmuster mehr. Man findet – wie beim Tomatenexperiment – einen einzelnen Fleck hinter dem Schlitz. Je nachdem, welchen der beiden Schlitze man geöffnet hat, befindet sich der Fleck mal etwas weiter links, mal etwas weiter rechts – aber Wellenmuster sieht man keines.

Quantenteilchen im Doppelspaltexperiment
Deckt man einen Schlitz ab (unten), findet man nur einen Fleck hinter dem Spalt - wie bei den Tomaten. Nur wenn beide Schlitze offen sind, kann das Quantenteilchen durch beide Öffnungen gleichzeitig gehen, mit sich selbst überlagert werden und ein Wellenmuster hinter dem Doppelspalt erzeugen (oben).

Der Doppelspalt – mehr als die Summe seiner Schlitze

Beim Tomatenexperiment setzt sich das Bild, das man bei zwei geöffneten Schlitzen bekommt, einfach aus den Bildern zusammen, die durch die einzelnen Schlitze entstehen. Niemand kann beim Anblick des Tomaten-Bildes mit den zwei Flecken sagen, ob es durch Beschuss einer Platte mit zwei Schlitzen entstanden ist, oder durch zwei Experimente mit je einem Schlitz. Beim Quanten-Experiment lässt sich das Wellenmuster, das bei zwei Schlitzen auftritt, nicht einfach durch die Bilder verstehen, die man bei einem einzelnen offenen Schlitz bekommt. Das Wellenmuster weist Flecken auf, wo weder bei offenem rechten Schlitz noch bei offenem linken Schlitz etwas zu sehen war, und umgekehrt bleiben im Wellenmuster Stellen weiß und unberührt, wo bei einem offenen Schlitz Teilchen hingelangen konnten.

Wer noch immer nicht glaubt, dass ein Quantenteilchen bei diesem Experiment durch beide Öffnungen gleichzeitig durchgehen kann, könnte nun vielleicht vermuten, dass sich die Teilchen gegenseitig beeinflussen. Könnte es sein, dass manche Teilchen den linken, manche den rechten Weg nehmen, und sie danach aneinanderstoßen, oder sie auf sonst eine Weise wechselwirken und sich dadurch das Wellenmuster ergibt? Das lässt sich leicht überprüfen: Man kann das Doppelspaltexperiment ganz langsam durchführen, sodass immer nur ein einzelnes Quantenteilchen unterwegs ist. Nun ist jede Wechselwirkung ausgeschlossen – doch das Wellenmuster sieht man noch immer. Damit ist endgültig klar: Die Teilchenwelle nimmt verschiedene Pfade gleichzeitig. Es ist nicht so, dass wir einfach nur nicht genau wissen, welchen Weg das Teilchen nimmt, oder dass unser Experiment nicht genau genug ist, um diese Frage zu beantworten: Das Teilchen muss sich tatsächlich nicht entscheiden und kann beide Wege wählen.

Das ist doch alles völlig verrückt! Kann denn das wirklich so sein?

Übernatürlich, magisch oder spukhaft ist daran gar nichts – das Verhalten der Quantenteilchen kommt uns nur seltsam vor, weil wir von Alltagsgegenständen etwas Anderes gewohnt sind. Das ändert aber nichts daran, dass die Gesetze der Quantenphysik genauso „logisch“, genauso nachvollziehbar und genauso mathematisch präzise sind wie alle anderen physikalischen Gesetze, denen wir täglich begegnen. Elementarteilchen, Atome und Moleküle sind so unvergleichlich viel kleiner als wir, dass es uns nicht wundern muss, wenn die Naturgesetze in diesen Größenordnungen etwas anders aussehen. Die Quantenphysik ist keine mysteriöse Geheimwissenschaft – aber aufregend, spannend und herausfordernd ist sie ganz sicher.



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Quellen- und Lizenzangaben

[text], naklar/flai