Wie mächtig sind die Gene?

Schlau geboren oder genetisch dumm - bestimmen die Gene wirklich, wer wir sind?

Wolfgang Amadeus Mozart
Mozart - Kombination aus Erbanlagen und passender Erziehung
Quelle: [1]

Wunderkind Wolfgang Amadeus Mozart begann mit drei Jahren Klavier zu spielen. Mit fünf komponierte er bereits Musikstücke und trat erstmals öffentlich auf. Ohne Zweifel war er ein außergewöhnliches Talent. Ein besserer Einstieg in eine Musikerlaufbahn ist kaum vorstellbar. Hatte Mozart einfach die optimalen Musiker-Gene? War sein Klaviertalent angeboren oder entstand es erst durch die Erziehung, den ständigen Kontakt mit Musik und die Förderung durch den Vater? Die alte Frage, ob Fähigkeiten und Charakterzüge eher anerzogen oder angeboren sind, beschäftigt die Wissenschaft noch immer.

Anerzogen oder angeboren?

Es ist unbestritten, dass Eigenschaften wie Blutgruppe, Augenfarbe oder Körpergröße durch unsere Gene bestimmt sind. Könnte auf unseren DNA-Strängen vielleicht auch festgelegt sein, ob wir uns für Kunst interessieren, ob wir eher depressiv oder fröhlich sind oder ob wir Raubmörder oder Sozialarbeiter werden? Der Psychiater und Neurologe Reinhard Haller aus Vorarlberg ist skeptisch: „Man kann nicht sagen, dass komplexe Verhaltensweisen wie Verbrechen, Sucht oder Depression nur angeboren sind.“ Einflüsse von außen, Erziehung und soziale Umgebung prägen uns zwar, doch zumindest eine gewisse Neigung zu bestimmten Eigenschaften und Verhaltensweisen könnte durchaus schon in den Genen codiert sein.

Genetisch schwul

Wie stellt die Wissenschaft nun fest, was angeboren ist und was anerzogen wurde? Am einfachsten sind statistische Untersuchungen. Wenn eine Gruppe von Testpersonen eine bestimmte Eigenschaft gemeinsam hat und in dieser Gruppe eine Genvariante besonders häufig auftritt, dann liegt der Verdacht nahe, dass dieses Gen mit der untersuchten Eigenschaft in Zusammenhang steht. In den Neunzigerjahren wurde nach so einer statistischen Untersuchung eine angebliche wissenschaftliche Sensation verkündet: Das Gen Xq28 sei für Homosexualität verantwortlich – das „Schwulen-Gen“ war geboren. Niemand konnte jedoch auch nur ansatzweise erklären, auf welche Weise dieses Gen Homosexualität verursachen könnte. Nachdem diese Ergebnisse in weiteren Studien aber nicht bestätigt werden konnten, glaubt heute kaum noch jemand an das „Schwulen-Gen“.

Statistik nützt wenig

Markus Hengstschläger von der Medizin-Universität Wien hält solche statistischen Untersuchungen für entbehrlich. Ein statistischer Zusammenhang zwischen einem Gen und einer Eigenschaft heißt schließlich noch lange nicht, dass das Gen tatsächlich für diese Eigenschaft verantwortlich ist. Hengstschläger verdeutlicht das durch ein Beispiel: „Angenommen, Sie vergleichen eine Gruppe blonder und eine Gruppe brünetter Frauen, und Sie stellen fest, dass die blonden statistisch häufiger verheiratet sind. Wenn dann jemand zu Ihnen kommt und wissen will, ob es einen Gentest gibt, der aussagt, ob seine Tochter später heiraten wird, werden Sie sagen: Nein. Aber wir können uns die Haarfarbe ansehen, die ist genetisch bestimmt– und damit hängt es vielleicht statistisch zusammen.“ Über die konkrete Zukunft der Tochter gibt das freilich keine Auskunft.

Zwillingsstudien

Eine andere Möglichkeit, die Bedeutung der Gene zu erforschen, bieten Zwillingsstudien, denn eineiige Zwillinge haben dieselbe DNS. Wenn beide in einer bestimmten Eigenschaft immer übereinstimmen, dann kann angenommen werden, dass diese Eigenschaft genetisch bestimmt ist. Allerdings wachsen Zwillinge normalerweise aber auch bei denselben Eltern auf. Wenn also zwei Zwillinge große Musiker werden, ist die Frage, ob Erziehung oder Genetik dafür verantwortlich war, noch immer ungeklärt. Eine besondere Rolle spielen daher Studien an Zwillingen, die zur Adoption freigegeben und getrennt voneinander aufgezogen wurden. „Diese Situation hat man natürlich nicht so häufig“, erklärt der Psychiater Reinhard Haller. „Solche Studien wurden durchwegs an einer relativ kleinen Anzahl von Zwillingspaaren durchgeführt“, womit ihre Aussagekraft beschränkt ist.

Dumm geboren?

Mit solchen Zwillingsstudien wurde die Frage untersucht, ob Intelligenz vererbbar ist oder durch Erziehung entsteht. Während früher angenommen wurde, dass der Intelligenzquotient fast ausschließlich von unseren Genen bestimmt ist, zeigt sich heute ein differenzierteres Bild. Der amerikanische Psychologe Eric Turkheimer stellte fest, dass der Zusammenhang zwischen Genen und Intelligenz in unterschiedlichen sozialen Schichten verschieden deutlich zu Tage tritt. Bei Kindern, die in ärmeren Verhältnissen aufwachsen, scheinen die Gene kaum eine Auswirkung auf den Intelligenzquotienten zu haben. Kinder aus der gebildeten Oberschicht hingegen sind generell intelligenter – und bei ihnen zeigt sich der Zusammenhang zwischen Genen und Intelligenz durchaus. Turkheimers Schlussfolgerung: Wo die Limits unserer persönlichen Möglichkeiten liegen, mag in den Genen codiert sein. Ob diese Möglichkeiten aber ausgeschöpft werden, hängt von der Erziehung und der sozialen Umgebung ab.

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Quellen- und Lizenzangaben

[text], www.CHiLLi.cc, in Kooperation mit CHiLLi.cc
[teaser-bild], www.naklar.at, Collage aus [3] und [5], GNU licence 1.2
[1], naklar.at, Collage aus [2] und [3], GNU licence 1.2
[2], Wikimedia commons, GNU licence 1.2
[3], Wikipedia.org, GNU licence 1.2
[4], naklar.at, Collage aus public domain-Bildern
[5], flickr.com, Gaetan Lee, Lizenz: Creative Commons 2.0