Wie Esoterik die Welt zerschneidet

Esoteriker trennen die Welt streng in Materielles und Geistiges, um sich selbst dann als „ganzheitlich“ bezeichnen zu können. Was soll das eigentlich bedeuten?

Esoteriker werfen der Wissenschaft gerne vor, sie teile die Welt in Geistiges und Materielles. Die Wissenschaft, so heißt es dann, beschränke sich auf das Materielle, während die Esoterik in der Lage sei, Körper und Geist, Materie und Seele zu vereinen. Das nennt man dann gerne „ganzheitlich“ oder „holistisch“. Besonders gerne wird so von Leuten argumentiert, die sich selbst übernatürliche Fähigkeiten zuschreiben, die wissenschaftliche Unmöglichkeiten behaupten, die Naturkräfte mit purer Geisteskraft besiegen wollen. In Wirklichkeit ist es genau umgekehrt: Die Wissenschaft versucht, scheinbare Grenzen zu überwinden, die Esoterik hingegen zieht dicke Trennstriche durch unsere Welt.

Wozu die Welt in zwei Teile trennen?
Wozu die Welt in zwei Teile trennen?
Quelle: [1]

Dass die Naturwissenschaft das Geistige vom Materiellen abkoppelt ist falsch. Die Grenze zwischen Geist und Materie hat eine lange Tradition – die Naturwissenschaft allerdings kommt aber ohne diese Grenze aus. Im Gegenteil: Gedanken, geistige Zustände, Emotionen sind für die Naturwissenschaft Zustände des Gehirns, deren Grundlagen auf Ebene von Nervenzellen und elektrochemischen Reizen zu verstehen sind. In der Naturwissenschaft gibt es keine trennende Linie zwischen Materie und Geist.

Manche überzeugte Antireduktionisten wittern bei solchen Aussagen allzu radikalen Materialismus und beginnen, sich Sorgen zu machen. „Niemals wird man den Geist durch die Materie erklären können“, heißt es dann – doch darum geht es hier auch gar nicht. Natürlich ist ein Gedanke nicht dasselbe wie ein elektrochemisches Signal, natürlich sind Emotionen, Geisteshaltungen, Charaktereigenschaften für uns etwas ganz anderes als biochemische Reaktionen zwischen Nervenzellen. „Gedanken“, „Emotionen“ oder „Überzeugungen“ sind Begriffe, die auf der Ebene der Psychologie angesiedelt sind. Physik, Chemie oder Neurophysiologie betreiben wir auf einer anderen, viel fundamentaleren Ebene der Wissenschaft. Natürlich bestreitet kein Quantenchemiker der Welt die Bedeutung von „Liebe“ und „Gerechtigkeit“, natürlich versucht nirgendwo ein Atomphysiker, „Freiheit“ oder „Freundschaft“ mit mathematischen Formeln zu definieren. Begriffe aus einer bestimmten Wissenschafts-Ebene ergeben oft auf einer anderen Wissenschafts-Ebene einfach keinen Sinn – trotzdem können diese Ebenen logisch und wissenschaftlich nachvollziehbar miteinander verbunden sein, ohne sauber definierbare Linie, die sie voneinander trennt.

Teile, die gemeinsam Sinn ergeben

Das ist weder neu noch erstaunlich: Schließlich verwenden wir auch für eine Kathedrale andere Begriffe und Vorstellungen als für Schottersteine, für ein Ölgemälde haben wir ganz andere Beschreibungsmodelle als für Farbpigmente. Niemand käme auf die Idee, bei der Beurteilung von Architektur die einzelnen Ziegelsteine zu betrachten. Niemand würde bei einer Diskussion über die Wirkung eines künstlerischen Meisterwerkes über das elektromagnetische Strahlungsspektrum einzelner Bildpunkte sprechen – dadurch hätte man über die Aussagekraft des Bildes noch nichts gelernt. Und trotzdem: Genau diese Zusammensetzung des Lichtes, das vom Bild an unser Auge gelangt, bewirkt in uns letztlich ein Gefühl von Schönheit oder künstlerischem Inhalt – es ist nur zutiefst unpraktisch, die physikalische Ebene für solche Fragestellungen zu bemühen. Aus Gründen der Praktikabilität müssen wir für jedes Thema die Sprache finden, die ihm gerecht wird – aber das bedeutet nicht, dass es grundsätzliche Trennlinien, unüberwindliche Erklärungsgrenzen gäbe –zwischen Farbpigmenten und Bildern, die aus ihnen entstehen, zwischen Steinen und Häusern, die aus ihnen gebaut werden, zwischen Nervenaktivität und den Gedanken, die sich aus ihr ergeben.

Die Wissenschaft ist ein Gedankengebäude, in dem alles mit allem verbunden ist – auch wenn verschiedene Teil-Wissenschaften ihre jeweils eigene Begrifflichkeit und Sprache haben müssen. Die Wissenschaft ist holistisch. Die Wissenschaft gilt für alle, sie verbindet Kulturen, Geschlechter und Altersklassen. Die Wissenschaft versucht, scheinbar widersprüchliches zu verbinden, Querverbindungen zwischen scheinbar Zusammenhanglosem herzustellen. Die vielzitierte Trennung in der Wissenschaft zwischen Geist und Materie gibt es nicht. (Die Psychosomatik etwa ist eine wissenschaftliche Disziplin, die beides eng verknüpft.) Die wahren Dualisten sind nicht die Naturwissenschaftler, sondern ihre Gegner.

Zauberei
Verbinden, was nie getrennt war: ein billiger Trick

Zelebriert wird diese künstliche Trennung von Geist und Materie nämlich von genau denen, die sich die angebliche Verbindung dieser Bereiche auf die Fahnen heften: Von den Verkäufern wundersamer Esoterikprodukte, die angeblich Körper und Geist in Einklang bringen, von selbsternannten Wundertätigen, die ihr Geld mit der Behauptung verdienen, durch bloße Gedankenkraft physische Objekte manipulieren zu können, von Scharlatanen, die vorgeben, den Gesetzen der Natur nicht unterworfen zu sein und ohne Nahrung, nur durch Geistesenergie leben zu können. Sie alle trennen Geistiges und Materielles – um diese beiden Pole dann unter lautem Wundergetöse wieder zu verbinden. Das wirkt wie ein Zauberkünstler, der eine Person in eine Kiste setzt und einfach für zersägt erklärt, um sich anschließend dafür feiern zu lassen, sie wieder heil in einem Stück zusammengezaubert zu haben. Kein Zweifel: Die Person ist danach ganz und unversehrt – aber es ist ein ziemlich lausiger Zaubertrick.



Quellen- und Lizenzangaben

[text], naklar/flai
[teaser-bild], www.naklar.at, Bearbeitung aus [1]
[1], Wikimedia Commons / NASA, naklar.at-Bearbeitung aus einem Bild der NASA (public domain) Quelle: Wikimedia Commons