Lichtfasten macht dumm

Eine Rezension von P.A. Straubingers Film "Am Anfang war das Licht"

Es gibt viele esoterische Zaubertricks. Zu den spektakulärsten unter ihnen gehört zweifellos das Lichtfasten. Unsagbar erleuchtete Gurus aus Indien, hochgradig christliche Heilige aus dem Mittelalter, aber auch beinahe normale Menschen von nebenan behaupten, Monate, Jahre oder gar Jahrzehnte hindurch ohne Nahrung auszukommen. Manche von ihnen verzichten angeblich sogar auf Flüssigkeit. Ihre Energie, so wird behauptet, bekommen sie von anderen Quellen: Vom Sonnenlicht, oder von einer göttlichen, spirituellen Strahlung.

Das Thema Lichtfasten reihte sich lange in das Spektrum des skurrilen Aberglaubens ein, ohne dass sich die breite Öffentlichkeit dafür besonders interessiert hätte. Nun aber, im Herbst 2010, kam ein Film über das Lichtfasten heraus, und plötzlich drängt das Publikum an die Kinokassen wie die Motten zum Feuer - und auch ich habe mich einfangen lassen und mir dieses Werk angesehen. "Am Anfang war das Licht" heißt der Propagandafilm fürs Radikalfasten von P. A. Straubinger. Sobald im Kinosaal die Lampen ausgehen, wird man allerdings in allerfinsterste, voraufklärerische Dunkelheit zurückversetzt, die längst schon für überwunden gehalten wurde.

Naiver Selbstbetrug

Der erste Teil des Films ist eigentlich berührend: Eine ganze Reihe von Personen erzählt über ihre Erfahrungen mit dem Lichtfasten. Einer nach dem anderen erwähnt (oft nur nebenbei, der Vollständigkeit halber), nicht gänzlich nahrungslos zu leben. Man habe sich vom Zwang befreit, essen zu müssen - aber ein paar Stücke Schokolade seien schon erlaubt. Schließlich gehe es da um Geschmack, nicht um Kalorienzufuhr. Dem deutschen Lichtfaster Michael Werner sehen wir beim genussvollen Fruchtsafttrinken zu. Eine herzzerreißend naive Dame einer lichtfastenden Yogagruppe erklärt: Seitdem sie sich von Licht ernähren kann, braucht sie zwischen den Mahlzeiten keine Kekse mehr. Würde Straubingers esoterisches Overvoice dem Film nicht die gewünschte wundergläubige Richtung geben, könnte man diese Szenen wunderbar als das verwenden, was sie eigentlich sind: Prototypische Entlarvungen von systematischem Selbstbetrug. Mit zwei Litern Fruchtsaft und ein paar Naschereien kann man problemlos den Tagesbedarf an Energie decken. Daran ist nichts unglaublich, unwissenschaftlich oder unerklärlich. Dazu braucht man weder einen Lichtnahrungsmechanismus noch göttliches Prana. Das ist einfach so.

Märchenstunde für Leichtgläubige

Einige Leute erzählen vom Lichtnahrungsprozess der australischen Esoterikerin Jasmuheen. Er besteht in einundzwanzigtägigem Fasten. (In den ersten Tagen ohne Flüssigkeit, später sind Fruchtsäfte erlaubt). Das ist eine erstaunliche Sache, das ist sicher nicht gesund, dazu gehört gewiss eine große Portion Willenskraft. Unmöglich ist es nicht. Danach halten sich die Teilnehmer für fähig, ohne Nahrung auszukommen, auch wenn sie wieder zu essen beginnen. Sie haben ja nun gezeigt, dass es gehe, meinen sie. Sie haben nun nichts mehr zu beweisen. Man hätte daraus eine warmherzige, hochinteressante Dokumentation über kollektive Autosuggestion machen können, eine kluge Geschichte über unser subjektives Wunschdenken und objektive Fakten. In die Nähe solcher Gedanken dringt der Film kein einziges Mal vor. Stattdessen werden wackelige Schein-Beweise für Nahrungslosigkeit unter angeblich kontrollierten Bedingungen präsentiert. Der Fasten-Weltmeister Prahlad Jani wurde in einem indischen Krankenhaus untersucht. Seltsamerweise füllte sich seine Blase mit Urin (obwohl der seit Jahrzehnten fastende Heilige natürlich soetwas wie einen Stoffwechsel längst nicht mehr nötig hat). Faszinierenderweise verschwindet der Urin dann wieder: Absorbiert von der Harnblase, sagt Prahlad Jani. Dass die Badewanne, in der seine Heiligkeit plantschen durfte, vielleicht eine simplere Erklärung böte, verschweigt der Film. Auch Michael Werner wurde in einer Klinik tagelang beim Fasten beobachtet - und verlor Gewicht, genau wie eben zu erwarten war. Unkommentiert darf er das im Film auf die Klimaanlage im Krankenhaus schieben.

Die Quantenphysik kann nichts dafür!

Wirklich ärgerlich wir der Film dann allerdings am Ende, als Straubinger in beinahe mitleiderregender Hilflosigkeit versucht, wissenschaftliche Erklärungsmöglichkeiten für Phänomene wie das Lichtfasten aufzuzeigen. Natürlich muss dafür wieder einmal die Quantenphysik herhalten - und natürlich kommen auch diesmal wieder die seltsamen, esoterischen Querköpfe ins Bild, die von esoterischer Seite immer wieder als angeblich wissenschaftliche Feigenblätter verwendet werden: Rupert Sheldrake, Fritz-Albert Popp, Rüdiger Dahlke und auch der Nobelpreisträger Brian Josephson. Sie alle sind wohlbekannte Esoteriker und vertreten keinesfalls die akzeptierte Sichtweise der Wissenschaft, auch wenn sie ursprünglich in naturwissenschaftlichen Bereichen tätig waren. Wie schon so oft muss man sich auch hier wieder anhören, die Quantenphysik habe das naturwissenschaftliche Paradigma durchbrochen, habe das Bewusstsein mit der Materie in Verbindung gebracht, habe bewiesen, dass die ganze Welt ein schwingungswaberndes Mysterium ist. Nichts davon ist wahr. Dieser abschließende Teil des Films bietet eine Ansammlung inhaltsleerer Plattitüden, schlecht getarnt durch naturwissenschaftlich klingende Wörter, gelegentlich unterbrochen von handfesten Falschaussagen. Längst widerlegte Missverständnisse über den quantenphysikalischen Messprozess werden noch einmal vor der Kamera aufgewärmt. Der Zuseher soll wohl den Eindruck bekommen, Quantenphysik bestehe nicht aus Theoremen und Gleichungen, sondern aus rosa Einhörnern und Regenbögen.

Schaden für die Gesellschaft

Viele Wissenschaftler auf der ganzen Welt bemühen sich heute, Naturwissenschaft spannend und auf verständliche Art der breiten Bevölkerung näherzubringen. All diese lobenswerten Bemühungen werden durch Filme wie diesen schwer beschädigt. Anstatt für wissenschaftliche Grundbildung (scientific literacy) zu sorgen, treibt Straubinger sein Publikum zurück Richtung Mittelalter. Straubinger selbst hat offenbar nie gelernt, zwischen intersubjektiven Fakten und persönlichem Glauben zu unterscheiden. Er hat weder ein Gefühl dafür, was Wissenschaft ist, noch dafür, wer als Wissenschaftler gelten darf. Und genau das ist gefährlich: Wer wissenschaftliche Kritik mit Engstirnigkeit verwechselt und naive Leichtgläubigkeit für geistige Aufgeschlossenheit hält, betrügt sich selbst und andere. Wer messbare Fakten nur für "einen Aspekt der Wirklichkeit" hält, und sich im Kopf eine kuschelige private Parallelwirklichkeit zurechtlegt, darf sich nicht wundern, letzen Endes doch mit den Fakten in Konflikt zu geraten.

Wir können uns nicht aussuchen, wie die Welt ist. Das macht auch nichts - die Welt ist nämlich insgesamt ziemlich großartig, wunderbar und fantastisch. Das erkennen wir schon bei einem Blick aus dem Fenster - esoterische Wundermärchen brauchen wir dazu sicher nicht.



Quellen- und Lizenzangaben

[text], naklar/flai