Wissenschaftlich bewiesene Zauberei

Was wäre, wenn eines Tages ein esoterisch-übernatürliches Phänomen wissenschaftlicher Überprüfung standhalten würde?

Zauberhase
Falls es irgendwo doch übernatürliche Zauberei gibt - würde sie sich wissenschaftlich beweisen lassen?

Haben Sie übernatürliche Fähigkeiten? Können Sie in die Zukunft sehen, treffen Sie sich regelmäßig mit Außerirdischen, oder haben Sie telepathischen Kontakt mir Ihrer verstorbenen Großtante? Wenn Sie das mit ja beantworten, dann haben Sie es sicher nicht leicht. Man wird Ihnen wohl meist sehr skeptisch gegenübertreten – und das ist auch gut so. Unzählige Male wurden solche Geschichten schließlich bei näherer Betrachtung als purer Unfug entlarvt. Was würde aber geschehen, wenn sich so eine vollkommen unerklärliche Behauptung eines Tages als wahr herausstellen würde? Was wäre, wenn eine genauere Untersuchung die Sache nicht als Täuschung, Irrtum oder Zufall erscheinen ließe, sondern die Behauptung tatsächlich bestätigen könnte?

Die Frage ist schwer zu beantworten – denn so etwas hat es noch nie gegeben. Der Startpunkt einer neuen wissenschaftlichen Erkenntnis ist normalerweise eben keine verrückte unerklärliche Behauptung, sondern eine wohldurchdachte Idee, die an vorangegangene Theorien anknüpft. Es ist aber interessant, darüber nachzudenken, was wohl heute mit einer wissenschaftlichen Wahrheit geschehen würde, die uns als vollkommener Irrwitz getarnt plötzlich über den Weg läuft. Die folgende Geschichte ist frei erfunden, und man kann wohl guten Gewissens viel darauf verwetten, dass wir einen Vorfall dieser Art nie erleben werden. Es ist sicher nicht anzunehmen, dass jemals irgendwelche esoterischen Hypothesen eine wissenschaftliche Revolution einleiten werden. Aber sollte erstaunlicherweise doch irgendwann mal aus der Ecke der Esoterik ein Stück überprüfbarer Wahrheit hervordringen, dann würde die Geschichte wohl ungefähr so einen Lauf nehmen:

Herrn Erngards Kristallzauber

Hans Erngard
Hans Erngard mit seinem übernatürlichen Zauber-Kristall.

Hans Erngard ist ein Bergarbeiter. Er behauptet, mit Hilfe eines speziellen Kristalls Metall aufspüren zu können. Schon vor Jahrzehnten hat er das zufällig bemerkt: Wenn er den lila funkelnden Stein in der Hand hält, dann spürt er genau, in welcher Richtung man nach Erzlagerstätten suchen muss. Eine kleine Lokalzeitung wird auf die Geschichte aufmerksam und bringt einen Artikel über ihn. Erngard berichtet dort genau, wie er seinen Kristall auch zu Hause verwendet. Mit Hilfe seines wundersamen Steines, erzählt er, könne er Stromleitungen in der Wand finden, unter dem Teppich versteckte Münzen spüren, und sogar eisenhaltige Nahrungsmittel durch die geschlossene Kühlschranktür hindurch fühlen, ganz besonders bei Vollmond. Bei seinen Kollegen habe er immer als Spinner gegolten, erzählt Erngard, doch das sei ihm egal, er habe recht, und das sei für ihn genug. Die Lokalzeitung bekommt daraufhin einige erboste Leserbriefe, die sich darüber aufregen, dass so ein unwissenschaftlicher Unfug unreflektiert und ohne Überprüfung als Wahrheit verkauft wird, doch die Leserbriefe werden nicht abgedruckt. Im Dorf wird Erngard durch den Zeitungsartikel aber rasch bekannt, immer wieder fordert man ihn auf, seine Kristall-Kunststücke vorzuzeigen. Hans Erngard macht bereitwillig mit und versucht sich an verschiedenen Metall-Suchaufgaben – nicht immer mit Erfolg, aber doch erstaunlich oft.

Hans Erngard und Fans
Wer Übernatürliche Fähigkeiten vorführt, kann rasch mit Bewunderung rechnen.

Später wird dann ein Redakteur eines nationalen Fernsehsenders auf Erngard aufmerksam. Im Vorabendprogramm wird ein zehnminütiger Beitrag über Erngards Wunderkünste ausgestrahlt. Neben Erngard selbst kommen mehrere bekannte Esoteriker zu Wort, die Erngards Fähigkeiten mit glühenden Worten in ihre eigenen Gedankengebäude einbauen – auch wenn diese Gedankengebäude in der Vergangenheit schon längst widerlegt worden sind. Auch eine Wissenschaftlerin kommt zu Wort – sie äußert sich skeptisch und meint, Erngards Behauptungen seien mit dem Stand der Wissenschaft unvereinbar.

Achtung, die Skeptiker kommen!

Nun bekommt die Sache plötzlich größere Bekanntheit: Erboste Skeptiker beschweren sich beim Fernsehsender, dutzende Blogger erklären, warum Erngards Behauptungen falsch sein müssen. Einige von ihnen legen Erngard hämisch nahe, er möge sich doch einem echten wissenschaftlichen Test stellen und die Million Dollar kassieren, die James Randi für den Nachweis übernatürlich erscheinender Phänomene ausgeschrieben hat. Erngard findet das interessant. Er meldet sich bei der GWUP (Gesellschaft zur Wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften), die im deutschsprachigen Raum Vortests durchführt. Diese Tests muss man bestehen, um zu Randis Million-Dollar-Prüfung zugelassen zu werden. Wissenschaftler der GWUP einigen sich mit Erngard rasch auf einen Prüfungsmodus: Zehn identische Plastikgefäße werden nebeneinander aufgestellt, eines von ihnen wird zufällig ausgewählt und mit einem Stück Metall befüllt. Wenn das geschehen ist, kommt Hans Erngard in den Raum und versucht, mit seinem Kristall das Gefäß zu ermitteln, in dem sich das Metallstück befindet. Zwanzig solche Runden werden durchgeführt. Bei zufälligem Raten hätte Erngard in jeder Test-Runde eine Erfolgschance von zehn Prozent. Bei zwanzig Versuchen ist zu erwarten, dass er ungefähr zweimal richtig liegt. Man vereinbart, dass Erngard zum Sieger erklärt wird, wenn er mindestens sieben Treffer erzielt. Wenn seine Methode nicht besser als zufälliges Raten ist, dann liegt seine Chance, mindestens sieben Treffer zu bekommen, bei weniger als 0.3%.

Hans Erngard beim wissenschaftlichen Test
Angebliche Fähigkeiten müssen erst mal sauber wissenschaftlich nachgewiesen werden.

Zur großen Verblüffung der Skeptiker schafft es Erngard, acht mal das richtige Gefäß zu ermitteln – ein Erfolg, wie er noch nie vorgekommen ist. Damit hat er sich für den Test bei James Randi qualifiziert. Er willigt freundlicherweise ein, seine Fähigkeiten gleich danach noch ein weiteres mal zu beweisen – diesmal rät er fünfmal richtig: Noch immer ein Wert, der deutlich über der erwarteten Trefferquote liegt. Im Internet verbreitet sich die Information über den erstmals bestandenen Test wie ein Waldfeuer nach der Trockenperiode: Manche jubeln über den Helden, der es den Skeptikern endlich mal gezeigt hat, andere lästern hämisch über das Versuchsdesign und meinen, es müsse irgendwelche Fehler gegeben haben, die Erngard eben erkannt und ausgenützt habe. Wieder andere argumentieren, dass es auch ohne übernatürliche Fähigkeiten immer eine nichtverschwindende Chance gäbe, den Test zu bestehen: Die Wahrscheinlichkeit dafür sei nur eben sehr klein. Erngrad habe einfach unglaubliches Glück gehabt, meinen sie, bei weiteren Tests werde sich das schon klar herausstellen.

Erngards Triumph

Magazin-Cover
Nach bestandenem Test: Weltweit bejubelt.

Kurze Zeit später demonstriert Erngard in Fort Lauderdale, Florida, seine Fähigkeiten noch einmal: Diesmal ist James Randi mit dabei, der berühmte Zauberkünstler, der alle möglichen Tricks kennt und schon viele Scharlatane entlarvt hat. Randi hat sich noch einige zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen einfallen lassen, die jedes Schummeln unmöglich machen sollen, im Prinzip ähnelt sein Test aber stark dem Vorversuch, der von der GWUP in Deutschland durchgeführt worden ist. Wieder muss aus zehn möglichen Schachteln in jeder Runde die richtige herausgefunden werden. In insgesamt sechzig Versuchen ist Erngard einundzwanzig mal erfolgreich – ein bemerkenswerter Triumph. Randi ist – wie alle anderen anwesenden Vertreter der internationalen Skeptikervereinigung – völlig überrascht. Er legt sich vorerst selbst noch nicht fest, ob er an übernatürliche Fähigkeiten Erngards glauben will, überreicht Erngard aber, wie versprochen, einen Scheck über eine Million Dollar.

Nun setzt ein Mediensturm ein wie selten zuvor: Es gibt kaum eine Zeitung auf der Welt, die nicht auf der Titelseite über Erngard berichtet. Die Meinungen über ihn gehen aber noch immer stark auseinander. Esoterische Kommentatoren erklären das moderne Weltbild für zusammengebrochen und rufen das Ende des naturwissenschaftlichen Zeitalters aus, andere lachen darüber und bezeichnen Erngard als Betrüger, der die Wissenschaft zum Narren hält. Erngard selbst genießt das Rampenlicht und gibt Fernsehinterviews. In Talkshows führt er seine Fähigkeiten live vor.

Jetzt ist die Wissenschaft dran

Nun ist es Zeit, aus dem Medienhype auch wissenschaftliche Erkenntnis sprießen zu lassen: Eine ganze Reihe von Wissenschaftlern bittet Hans Erngard, sich für nähere wissenschaftliche Untersuchungen zur Verfügung zu stellen. Es soll dabei nicht mehr um die Frage gehen, ob es die mysteriösen Fähigkeiten überhaupt gebe, stattdessen soll nun genau ausgeleuchtet werden, welche Eigenschaften die Fähigkeiten haben, und wie Erngard sie nützen kann. In hunderten Versuchsreihen wird ausgetestet, unter welchen Umständen er mit seinem geheimnisvollen Kristall tatsächlich Metall aufspüren kann: Funktioniert das Phänomen auch, wenn man das Metall durch Holzplatten abschirmt? Funktioniert es durch dicke Wände hindurch? Ist die Fähigkeit von Stress, Müdigkeit und Tagesverfassung abhängig? Lassen sich bei ihm während dieser Versuche abnormale Hirnströme messen? Haben auch andere Versuchspersonen mit Erngards Kristall Erfolg? Welche Art von Kristall verwendet Erngard? Funktioniert es wirklich nur mit diesem speziellen Kristall? Welche Metalle lassen sich aufspüren? Funktioniert es mit großen Mengen von Metall besser als mit kleinen? Von verschiedensten Seiten wird das Phänomen nun beleuchtet und ausgetestet – das hat Erngard selbst vorher noch nie gemacht.

Diese Untersuchungen liefern an unterschiedlichen Forschungsinstituten ähnliche Ergebnisse. Noch hat man keine Ahnung, woher dieser Effekt kommen könnte, aber langsam lässt sich erkennen, unter welchen Bedingungen der Effekt auftritt und wodurch seine Deutlichkeit bestimmt wird. Zeitungskommentare, Fernsehberichte und Blogeinträge werden nun vorsichtiger. Selbst ehemals überzeugte Skeptiker beginnen einzugestehen, dass es hier wohl einen interessanten Effekt gibt, den man sich genauer ansehen muss.

Von Zauberei zur anerkannten Wissenschaft

Statue

Einige der Behauptungen, die Erngard ursprünglich aufgestellt hatte, stellen sich allerdings bald als haltlos heraus: Der Vollmond, so zeigt sich rasch, hat mit seinen Fähigkeiten überhaupt nichts zu tun, und auch Stromleitungen in den Wänden kann Erngard nicht wirklich aufspüren. Er scheint nur auf größere Mengen bestimmter metallischer Legierungen anzusprechen – seine übrigen Behauptungen beruhten nur auf Einbildung und Wunschdenken. Mit der Zeit finden sich auch andere Personen mit den selben Fähigkeiten – nicht alle haben so eine hohe Erfolgsquote wie Erngard, aber bald gelten mehrere hundert Personen als statistisch signifikante Metall-Aufspürer – die wissenschaftliche Erforschung des Phänomens wird dadurch deutlich vereinfacht. Versuche, auch Tieren die Fähigkeiten anzutrainieren, scheitern vorerst.

Die Erforschung des Phänomens wird bald informell als „Erngardologie“ bezeichnet – die Anzahl der wissenschaftlichen Publikationen zu diesem Thema steigt rasant an. Neurobiologen erkennen, dass erfolgreiche Versuche immer mit besonders starker elektrischer Aktivität im präfrontalen Cortex verbunden ist. Physiker stellen fest, dass nur ganz bestimmte Kristalle mit geometrisch komplexer Kristallstruktur Erfolg bringen und definieren so die Klasse der „Erngard-Kristalle“ – und ebenso die Klasse der „Erngard-Metalle“, die sich damit aufspüren lassen. Gewagte theoretische Spekulationen über exotisch anmutende Fern-Wechselwirkungen zwischen dem Kristall, den Metallen und Strukturen im menschlichen Gehirn werden aufgestellt – doch noch gibt es keine überzeugende Erklärung des Phänomens. Das ändert sich auch nicht, als es einer privaten Firma gelingt, den Engard-Effekt durch einen speziellen aus feinen Schichten zusammengeklebten Kristall noch deutlich zu verstärken. Durch diesen Super-Engard-Kristall wird die Erfolgsquote nun viel höher: Fast jeder kann damit nun erstaunliche Effekte erzielen. Der Super-Engard-Kristall wird zum Kassenschlager.

Der Erngard-Effekt breitet sich aus

Auf der ganzen Welt hoffen Wissenschaftler, das große Rätsel um den Erngard-Effekt zu lösen und damit zum international bejubelten Wissenschafts-Star zu werden. Manche Kommentatoren kritisieren den Engard-Hype in der Wissenschaft: Viele tausend junge Menschen auf der ganzen Welt richten ihre Forschungskarrieren ganz auf das Engard-Phänomen aus – andere Wissenschaftsbereiche drohen dadurch zurückzubleiben. Doch andererseits erweisen sich die Erkenntnisse aus der Erngard-Forschung mit der Zeit auch als fruchtbar für ganz andere Wissenschaftsbereiche: Die Hirnforschung entwickelt sich rasant weiter, weil sich mithilfe der speziellen Kristalle Hirnströme viel besser untersuchen lassen. An möglichen Anwendungen für Neurochirurgie und Schlaganfallpatienten wird bald gearbeitet. Für diese Erkenntnisse wird der Medizin-Nobelpreis vergeben. Die Festkörperphysik erlebt einen Aufschwung, weil sich neue mathematische Methoden, die entwickelt wurden, um die Erngard-Kristalle quantenphysikalisch zu beschreiben, als außerordentlich fruchtbar erweisen. Endlich wird ein Hochtemperatur-Supraleiter gefunden, der auch bei Raumtemperaturen noch supraleitend ist - davon hatte die Forschung seit Jahrzehnten geträumt. Gleich drei Physik-Nobelpreise hintereinander werden für Forschungen vergeben, die direkt mit dem Erngard-Effekt zu tun haben. Zwei Chemie-Nobelpreise folgen. Hans Erngard selbst freut sich darüber: Wissenschaftliche Preise hat er selbst zwar nicht kassiert, schließlich war er bei den Untersuchungen nur Testperson und nicht Wissenschaftler. Doch er gilt als historischer Umwälzer der Wissenschaft, ist weltberühmt und geachtet – und hat im Lauf der Jahre Millionen verdient. Die Million Dollar, die Hans Erngard von James Randi bekommen hat, die zahlt er allerdings eines Tages zurück: Diese Million, so meint Erngard, sei schließlich für den Nachweis übernatürlicher Phänomene ausgeschrieben gewesen – und der Erngard-Effekt ist mittlerweile ja ein wesentlicher Bestandteil der Naturwissenschaft, hat mit Übernatürlichem also wenig zu tun. Außerdem: Auf eine Million mehr oder weniger kommt es Erngard mittlerweile ohnehin nicht mehr an.

Und was sagt uns das?

Nun können wir diese phantastische Geschichte eigentlich enden lassen: Ob und wie der Erngard-Effekt dann eines Tages genau erklärt wird ist eigentlich völlig egal. Entscheidend ist: Wenn es einen neuen Effekt gibt, der nicht auf Einbildung oder Schwindel beruht, sondern wirklich nachweisbar ist, dann lässt sich dieser Effekt auch sauber wissenschaftlich untersuchen, selbst wenn man noch keine Ahnung hat, wie er in das Gesamtsystem der Wissenschaft eingebaut werden kann. Wir müssen die Ursache des Effektes nicht kennen, wir müssen nur das Experiment unter kontrollierten Bedingungen wiederholen, möglichst viel darüber lernen und dabei Regelmäßigkeiten finden. Wenn Wissenschaftler etwas Unerwartetes entdecken, dann versuchen sie, den überraschenden Effekt stärker sichtbar zu machen, störende Nebeneinflüsse zu entfernen, möglichst viel Wissen über das Phänomen herauszuarbeiten – und genau dadurch entsteht Wissenschaft. Esoteriker machen das nicht, sie geben sich mit dem vagen Bauchgefühl zufrieden, irgendetwas Mysteriöses „entdeckt“ zu haben.

Kleine Effekte groß heraus bringen

Labor
Wenn etwas funktioniert, wird es weiterentwickelt.

Viele große wissenschaftliche Entdeckungen beginnen mit einer kleinen Anomalie – entweder in Beobachtungen oder in theoretischen Berechnungen. Irgendeine Messgröße ist ein kleines Bisschen anders als man bisher gedacht hätte. Johannes Kepler erkannte, dass sich die Planetenbahnen nicht auf Kreisen bewegen, sondern ganz leicht elliptisch sind – erklärt wurde das dann von Newton’s klassischer Mechanik, die nicht nur diese kleinen Abweichungen beschreibt, sondern auch unzählige alltägliche Phänomene, vom Bremsweg eines Autos bis zur Schwingung eines Pendels. Die erste experimentelle Bestätigung von Einsteins Relativitätstheorie war die Beobachtung, dass die Position eines Sterns, dessen Licht knapp an der Sonne vorbeistreicht, auf der Erde ein kleines Bisschen verschoben erscheint – doch die Relativitätstheorie erklärt nicht nur diesen winzigen Effekt, sie ist heute ein wichtiges Fundament der Physik, unzählige Male in unterschiedlichsten Experimenten bestätigt. In der Wissenschaft werden neue Gedanken verfeinert, überarbeitet, geschärft. So werden kleine Effekte immer größer. Aus der winzigen Abweichung zwischen zwei Kurven am Messgerät wird dann irgendwann eine tolle Erfindung, die unser Leben besser macht. Ideen aus der Esoterik hingegen werden starr eingefroren und mit der Aura des Mystischen versehen, damit niemand es wagt, sie genauer zu hinterfragen und sie damit vielleicht am Ende versehentlich zu widerlegen.

Die Wissenschaft hat recht. Wenn nicht, dann wird das was recht hat zur Wissenschaft.

Esoterische Behauptungen, die überraschenderweise doch einer kritischen Überprüfung standhalten, müssen zwangsläufig selbst zur Wissenschaft werden. Das liegt am Aufbau der Wissenschaft: Sie ist kein abgeschlossenes System, sie ist darauf ausgelegt, sich ständig zu erweitern und neue Erkenntnisse in sich aufzunehmen. Bei jeder Auseinandersetzung zwischen Wissenschaft und Esoterik ist die Wissenschaft in Wirklichkeit in einer Win-Win-Situation: Entweder die esoterische Behauptung wird widerlegt und die Wissenschaft setzt sich durch – oder die esoterische Behauptung wird überraschenderweise bestätigt – dann wird diese Behauptung ihrerseits zur Wissenschaft.

Das breite Spektrum der Wissenschaften – von Physik und Chemie über die Biologie bis hin zur Psychologie und Soziologie – kann unsere Beobachtungen auf der jeweils passenden wissenschaftlichen Ebene verarbeiten. Wer behauptet, er habe eine Theorie aufgestellt, die einfach nicht näher zu untersuchen ist, der ist feige und hat Angst widerlegt zu werden, oder hat nicht verstanden, wie Wissenschaft funktioniert. Wenn wir etwas beobachten können, dann können wir diese Beobachtungen auch sauber sortieren und wissenschaftlich aufbereiten. Wenn wir nichts beobachten können, dann gibt es keinen Effekt, über den wir überhaupt reden könnten. Allen Esoterikern, die abenteuerliche Behauptungen aufstellen, sei deshalb gesagt: Seid mutig und versucht, eure Theorien sauber zu erforschen. Wenn es misslingt, dann wurde die Theorie widerlegt und niemand muss mit ihr seine Zeit verschwenden. Sollte es aber gelingen: Ruhm, Ehre und Reichtum warten auf euch! Viel Erfolg!



Quellen- und Lizenzangaben

[text], naklar/flai